„Wohin gehst du denn jetzt noch?“ – oder: Das perfekte Timing

Ein lauer Frühsommerabend, Freitag, 10. Mai 2024. „Wohin gehst du denn jetzt noch?“, wundere ich mich, als unser 18-jähriger Sohn um halb zehn Uhr im Flur seine Jacke anzieht. „Polarlichter gucken“ lautet die ebenso knappe wie überraschende Antwort. Polarlichter? Bei uns? In vielen hobbyastronomischen Jahren habe ich nur einmal, Anfang der 2000er Jahre, einen zarten rötlichen Hauch eines Polarlichts gesehen, nur kurz und sehr unspektakulär. Polarlichter? Dazu braucht es vor allem Glück und gutes Timing.

Dennoch google ich, was es mit Elias‘ Behauptung auf sich hat. Schnell wird mir klar: Er hat Recht, angesichts intensiver Sonnenaktivität und starker Sonnenstürme ist mit Nordlichtern bis in südliche Breiten zu rechnen! Also rauf ins OG für einen prüfenden Blick aus dem Badfenster in Richtung Nordwesten. Und tatsächlich: zwar schwach, aber unübersehbar zieht sich ein rötlicher Schimmer über den Horizont. Aurora borealis über Karlsdorf-Neuthard!

Nur wenig später stehe ich mit Elias auf dem Stundenweg zwischen Karlsdorf und Neuthard und habe bereits mit dem Nachtmodus der Handykamera erste Fotos geknipst. Zart und gemächlich  bewegen sich die rotschimmernden Leuchterscheinungen vom Norden kommend über uns hinweg und sind sogar noch Richtung Süden gut zu verfolgen. Sehr beeindruckend! Bald aber werden sie schwächer und seltener, und wir beschließen den vorübergehenden Rückzug.

Knapp zwei Stunden später checken wir die Lage erneut. Ich knipse vor unserem Haus etwas unbeholfen die Straße runter in Richtung Nordhimmel, wo wir einen leichten Grünschimmer wahrzunehmen glauben. Wir haben uns nicht getäuscht: Das 5 Sekunden belichtete Foto bringt deutliche Polarlichter zum Vorschein. Wir beziehen also erneut Stellung auf dem Stundenweg. Keine Minute zu früh, denn jetzt geht es erst richtig los: Auf breiter Front wabern erst grünliche, dann hell- über türkis- bis tiefblaue Lichter auf uns zu. Wir fotografieren und staunen abwechselnd, da ändert sich die Farbgebung erneut. Nun sind es hellrosafarbene Himmelsvorhänge, immer wieder unterbrochen von seltsamen, hellen, weißen Zentren, die sich unvermittelt bilden und bereits nach wenigen Sekunden wieder auflösen. Schließlich gipfelt die kosmische Lichtershow in fantastischen purpurfarbenen Polarlichtern, die sich beim genauen Hinsehen deutlich bewegen und schon dem bloßen Auge nahezu vertikal verlaufende Strukturen offenbaren, entlang derer sich der Sonnenwind seinen Weg durchs irdische Magnetfeld bahnt. Die langbelichteten Fotos offenbaren uns filigrane Details und noch intensivere Farben.

Es sind atemberaubende Momente des ungläubigen Staunens. Während die Nachtstille nur hin und wieder vom fernen Krächzen eines Nachtvogels unterbrochen wird und in der Ferne die Lichter des Heimatdorfes glitzern, stehen wir zu zweit in der Einsamkeit, ergießt sich über uns ein einmaliges, fast schon unwirkliches kosmisches Farbspektakel, das uns mittlerweile von allen Seiten umgibt. Es ist eine magische Nacht, ein unvergesslicher Moment. Immer wieder richten wir unsere Kameras gen Himmel, fast, als wollten wir uns durch die Bilder selbst vergewissern, dass wir nicht träumen.

Nach rund einer Stunde ist der Höhepunkt überschritten, die Intensität der Lichter lässt nach. Wir atmen durch, kehren langsam zurück vom fernen Kosmos in die Zivilisation, immer noch etwas ungläubig, ob das alles wirklich passiert ist. Heute hatten wir beides: ausgesprochenes Glück und perfektes Timing.

(Fotos: Klaus und Elias Huber, 10./11.5.2024 zwischen 1 und 2 Uhr, Stundenweg Karlsdorf-Neuthard)


Ursache des außergewöhnlich weit gen Süden reichenden Polarlichtes war der stärkste Sonnen-Magnetsturm seit Jahrzehnten. Der Sturm, ausgelöst durch eine extrem großen Sonnenfleckengruppe (siehe beiliegendes NASA-Bild / https://sdo.gsfc.nasa.gov/assets/img/latest/latest_2048_HMII.jpg), wird in den nächsten Tagen weiter abflauen. Die größten Sonnenflecken werden dann durch die Rotation der Sonne hinter dem Sonnenrand verschwinden.

In Karlsdorf-Neuthard jedenfalls waren die Polarlichter in der Nacht von Samstag (11.5.) auf Sonntag kaum noch zu sehen. Das beiliegend Foto wurde gegen 23 Uhr von Georg Mangels aufgenommen und zeigt nur noch eine schwache rötliche Färbung des Himmels in Richtung Norden. 3 Stunden später war auch diese nicht mehr zu beobachten.

-> Aber wer weiß was passiert, wenn nach ca. 2 Wochen diese riesige Sonnenfleckengruppe wieder auftaucht!?